Sizilien 2025 – Nachtzug nach Mailand


Gerade erst hatte ich es noch geschrieben, dass ich für den Augenblick – auf Grund der in den letzten Monaten gemachten Erfahrungen – erstmal auf Fahrten mit dem Nachtzug verzichten würde. Und dann kam es – dank eines Generalstreiks in Italien am 03. Oktober – doch anders. Da wir ursprünglich am 03. die Rückreise antreten wollten – von Palermo mit dem Intercity nach Villa San Giovanni und von dort mit der Frecciarossa nach Bologna – musste ich diese Pläne leider revidieren. Auch nach Rücksprache mit dem versierten Italienreisenden Chris Ogilvie, der meinte, bei der Distanz sei es fast unmöglich, etwas Erfolgversprechendes zu planen. Also musste ein neuer Plan her. Und das konnte eigentlich nur der sagenumwobene ICN 1964 sein, der Nachtzug von Palermo nach Milano, der mit einer Reisedauer von ca. 22 Stunden sicherlich eine der längsten Direktverbindungen in Europa bedient. Und auf jeden Fall die längste je von mir gefahrene Strecke. Irgendwie toll, aber leider zwei Tage früher als geplant, also zwei Tage weniger Sizilien.

Nachdem der Nachtzug in den letzten Jahren ein tolles Revival erlebt hat, sind natürlich auch zu den Intercity Notte zahlreiche Artikel erschienen. Aber alle Lektüre kann das Erlebnis nicht wirklich ausreichend vermitteln. Die Fahrt ist einfach nur toll, ein echtes Stück Eisenbahnepos mitten im 21. Jahrhundert. Kaum vorstellbar, dass diese Strecke vielleicht schon angezählt ist. Denn nachdem in Italien schon seit vielen Jahren über eine Brücke über die Straße von Messina nachgedacht wird, hat diese Idee in den letzten Monaten deutlich an Form angenommen, sodass eine Realisierung eine ernstzunehmende Möglichkeit ist. Die aktuelle Regierung unter Giovanna Meloni hat sich klar dafür ausgesprochen, und es scheint auch die Möglichkeit zu geben, die Investitionen als Teil der für die NATO zu veranschlagenden Gelder auszuweisen. Dazu kommt, dass gerade in Italien in den letzten Jahren zahlreiche Infrastrukturprojekte mit Nachdruck vorangetrieben worden sind. Erfahrung und Wille ist also auf jeden Fall vorhanden. Allerdings habe ich heute1 erst einen Artikel gelesen, der das ganze Projekt doch wieder in Frage stellt:

l’ambasciatore [degli Stati Uniti] avrebbe affermato a chiare lettere di non voler consentire l’uso dei fondi Nato per la sua costruzione. Dunque il Governo italiano dovrà rinunciare alla proposta di far rientrare i costi per la costruzione del ponte sullo stretto tra le spese militari NATO.2

Na ja, mal sehen, was daraus wird. Eine never-ending-story ist es ja heute schon…

Eines der absoluten Highlights ist natürlich die Fahrt mit der Fähre über die Straße von Messina. Eine Fähre, deren prominentester Fahrgast eben der Zug selber ist. Und das ist ein Spektakel, welches man sich als Eisenbahnmensch einfach nicht entgehen lassen kann.

Auf dem Weg nach Milan. Unser ICN 1962 von Palermo. Man beachte auch die Wolken!

Nach der Überfahrt ist die Reise sehr unspektakulär veraufen, was bei einer Fahrt von über 22 Stunden ja auch schon ein Wort ist. Wir hatten uns für einen 4-Bett Liegewagen entschieden, ein wie ich finde angemessener Kompromiss zwischen Komfort und Kosten. Für die Strecke haben wir zu zweit insgesamt 131,80 € bezahlt, da wir – trotz relativ kurzer Vorlaufzeit – noch ein Ticket aus der beliebten Sparte Super Economy ergattern konnten. Damit ist zwar kein Umtausch möglich, aber das war für uns ja eh kein Thema.

Der allererste Eindruck war nicht überwältigend. Es handelt sich um sehr altes Wagenmaterial, dem man die harte Beanspruchung durchaus anmerkt. So wirkten z.B. stellenweise etwas ausgefranst. Aber bei dem Alter der Intercity-Flotte ist ein Vergleich mit den modernen Frecciarossa- oder Italo-Zügen einfach unfair. Und auf den zweiten Blick war klar: Das Material mag in die Jahre gekommen sein, aber es war top gepflegt und in Schuss gehalten. Auf den Toiletten stand – trotz starker Beanspruchung durch die Nachtreisenden – die ganze Zeit ausreichend Wasser und Seife zur Verfügung, und die Toiletten warebn zu keinem Zeitpunkt dreckig. Eine Tatsache, die weniger auf besonders rücksichtsvolle Zugreisende zurückzuführen ist, sondern auf das Personal, welches so unsichtbar wie unermüdlich permanent für Sauberkeit sorgt. Thumbs-Up, Trenitalia! Ansonsten gibt es nicht viel zu bemerken, außer dass der Zug auf einer Strecke von ca. 1.800 Kilometern und einer ungeplanten Umleitung über Roma Rogoredo gerade einmal 23 Minuten Verspätung auf dem Zähler hatte. Ich würde das als Top-Leistung bewerten.

Morgens gegen 08:00 Uhr gab es auch eine collazione, also ein Frühstück mit den für Italien üblichen Bestandteilen: ein paar Kekse, ein Fruchtsaft und – ganz wichtig – einen Kaffee.

Die Nacht war nicht immer so ruhig, wie man es von zu Hause gewöhnt sein mag, aber ich habe einen ordentlichen Teil der Nacht geschlafen, wir haben die Kosten für eine Übernachtung (im Durchschnitt 80 bis 90 €) gespart, und wir sind den kompletten italienischen Stiefel im Schlaf raufgefahren. Ein tolles Erlebnis und ein grandioser Abschluss unserer Sizilien-Reise. Und da uns auf Grund des vorzeitigen Aufbruchs noch ein paar Tage in Bologna bleiben, können wir uns sogar auf eine zusätzlich, so nicht geplante Etappe freuen. Und auf leckeren Parmigiano !

  1. Also am 01.10., am Tag, als wir von Palermo aufgebrochen sind. ↩︎
  2. „Der [US-]Botschafter hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Verwendung von NATO-Mitteln für den Bau nicht zulassen will. Daher wird die italienische Regierung ihren Vorschlag aufgeben müssen, die Kosten für den Bau der Brücke über die Straße von Messina in die NATO-Militärausgaben einzubeziehen.“, Daniele da Pisapaia, Ponte sullo stretto, alla fine ha vinto il NO: vicenda chiusa una volta per tutte. In : Madonie Live, Artikel vom 30.09.2025 ↩︎