Wie bereits an anderer Stelle angeklungen, mussten wir unseren Aufenthalt in Palermo auf Grund eines für den 03. Oktober angekündigten Sciopero generale (Generalstreik) stark abkürzen. Wegen dieses Streiks hatte Trenitalia zahlreiche Ausfälle angekündigt, und bei der weiten Strecke wollte ich nicht das Risiko eingehen, mitten im Land irgendwo festzustecken. Schweren Herzens sind wir also früher als geplant gen Norden gezogen, wo wir dann – quasi als Entschädigung – zwei Übernachtungen in Bologna einlegen konnten.
Für die Fahrt musste nun aber ein neuer Plan her. Und das konnte eigentlich nur der sagenumwobene ICN 1964 sein, der Nachtzug von Palermo nach Milano, der mit einer Reisedauer von ca. 22 Stunden sicherlich eine der längsten Direktverbindungen in Europa bedient. Und auf jeden Fall die längste je von mir am Stück gefahrene Strecke. Irgendwie toll, trotz der zwei Tage weniger Sizilien.
Nachdem der Nachtzug in den letzten Jahren ein tolles Revival erlebt hat, sind natürlich auch zu den Intercity Notte zahlreiche Artikel und Besprechungen erschienen. Aber alle Lektüre kann das Erlebnis nicht wirklich ausreichend vermitteln. Die Fahrt ist einfach nur toll, ein echtes Stück Eisenbahnepos mitten im 21. Jahrhundert. Kaum vorstellbar, dass diese Strecke vielleicht schon angezählt ist. Denn nachdem in Italien schon seit vielen Jahren über eine Brücke über die Straße von Messina nachgedacht wird, hat diese Idee in den letzten Monaten deutlich an Form gewonnen, sodass die Realisierung mittlerweile eine ernstzunehmende Möglichkeit darstellt. Die aktuelle Regierung unter Giovanna Meloni hat sich klar dafür ausgesprochen, und es scheint auch die Möglichkeit zu geben, die Investitionen als Teil der für die NATO zu veranschlagenden Gelder auszuweisen. Dazu kommt, dass gerade in Italien in den letzten Jahren zahlreiche Infrastrukturprojekte mit Nachdruck vorangetrieben worden sind. Erfahrung und Wille ist also auf jeden Fall vorhanden. Allerdings habe ich heute1 erst einen Artikel gelesen, der das ganze Projekt doch wieder in Frage stellt:
l’ambasciatore [degli Stati Uniti] avrebbe affermato a chiare lettere di non voler consentire l’uso dei fondi Nato per la sua costruzione. Dunque il Governo italiano dovrà rinunciare alla proposta di far rientrare i costi per la costruzione del ponte sullo stretto tra le spese militari NATO.2
Na ja, mal sehen, was daraus wird. Eine never-ending-story ist es ja heute schon…
Trotz meiner durch einige schlechte Erfahrungen ausgelösten Skepsis, was Nachtzüge angeht, habe ich mich auf diese spezielle Verbindung sehr gefreut. Und in der Tat verlief die Zugfahrt ohne die geringste Komplikation und wir liefen am nächsten Vormittag mit einer kaum nennenswerten Verspätung von ca. 20 Minuten in Milano Centrale ein.
Zu den Highlights der Strecke gehört z.B. die Fahrt entlang der Nordküste Siziliens, während der wir u.a. Cefalù mit La Rocca und die äolischen Inseln vor unserem Abteil entlangziehen sahen.

Für uns ein Abschied von Sizilien, wie man ihn sich schöner eigentlich nicht wünschen kann. Zumal er einen Ausblick bot auf das, was uns noch alles zu entdecken blieb, ein kleiner Vorgeschmack sozusagen auf künftige Besuche. Nach ca. dreieinhalb Stunden kamen wir dann in Messina an und die schon von der Hinfahrt bekannte Prozedur wiederholte sich: Aufteilung des Zuges und Verschiffung der Einzelteile. Da es sich diesmal allerdings um einen deutlich längeren Zug handelte – zusammengesetzt aus den Teilen aus Palermo und aus Siracusa -, war auch die Fähre bedeutend größer. Und dieses Mal war es die mit offenem Deck, von dem aus man die einzelnen Waggons sehen konnte. Dieses Feature hatte ich nämlich auf der Hinfahrt vermisst:

Als wir auf der Überfahrt dann zurück Richtung Sizilien schauten, konnten wir ein beeindruckendes Spektakel erleben: Massive Regenwolken, die gleichsam über die Insel herfielen. Und sich in den nächsten Stunden in heftigen Regenfällen entladen sollten, wie unsere Mitreisenden uns am nächsten Morgen berichten würden.

Nach der Überfahrt ist die Reise sehr unspektakulär verlaufen, was bei einer Fahrt von über 22 Stunden ja auch schon ein Wort ist. Von Messina aus ging die Fahrt weiter durch Kalabrien und das nächtliche Kampanien, von dem wir dann in der Dunkelheit schon nichts mehr gesehen haben.
Wir hatten uns übrigens wie schon auf der Hinfahrt im Nightjet von München für einen 4-Bett Liegewagen entschieden, ein wie ich finde angemessener Kompromiss zwischen Komfort und Kosten. Für die Strecke haben wir zu zweit insgesamt 131,80 € bezahlt, da wir – trotz relativ kurzer Vorlaufzeit – noch ein Ticket aus der beliebten Sparte Super Economy ergattern konnten. Damit ist zwar kein Umtausch möglich, aber das war für uns ja eh kein Thema.
Der allererste Eindruck war nicht überwältigend. Es handelt sich um sehr altes Wagenmaterial, dem man die harte Beanspruchung durchaus anmerkt. So wirkten z.B. die Polster stellenweise etwas ausgefranst. Aber bei dem Alter der Intercity-Flotte ist ein Vergleich mit den modernen Frecciarossa- oder Italo-Zügen einfach unfair. Und auf den zweiten Blick war klar: Das Material mag in die Jahre gekommen sein, aber es war top gepflegt und in Schuss gehalten. Auf den Toiletten stand – trotz starker Beanspruchung durch die Nachtreisenden – die ganze Zeit ausreichend Wasser und Seife zur Verfügung, und die Toiletten waren zu keinem Zeitpunkt dreckig. Eine Tatsache, die wohl weniger auf besonders rücksichtsvolle Zugreisende zurückzuführen ist, sondern auf das Personal, welches so unsichtbar wie unermüdlich permanent für Sauberkeit sorgte. Thumbs-Up, Trenitalia! Ansonsten gibt es nicht viel zu bemerken, außer dass der Zug auf einer Strecke von ca. 1.800 Kilometern und einer ungeplanten Umleitung über Roma Rogoredo gerade einmal 23 Minuten Verspätung auf dem Zähler hatte. Ich würde das als Top-Leistung bewerten.
Morgens gegen 08:00 Uhr gab es auch eine collazione, also ein Frühstück mit den für Italien üblichen Bestandteilen: ein paar Kekse, einem Fruchtsaft und – ganz wichtig – einem Kaffee.
Das Erste, was wir am nächsten Morgen bei wiedergekehrtem Tageslicht sehen konnten, war übrigens auch nicht von schlechten Eltern: Der Zug durchquerte die Cinque Terre, was immer wieder für ein beeindruckendes Panorama gut war. Leider nur allzu oft von Tunneln unterbrochen, sodass es kaum möglich war, ein Foto zu schießen.
Die Nacht war nicht immer so ruhig, wie man es von zu Hause gewöhnt sein mag, aber ich habe einen ordentlichen Teil der Nacht geschlafen, wir haben die Kosten für eine Übernachtung (im Durchschnitt 80 bis 90 €) gespart, und wir sind den kompletten italienischen Stiefel im Schlaf heraufgefahren. Ein tolles Erlebnis und ein grandioser Abschluss unserer Sizilien-Reise. Und da uns auf Grund des vorzeitigen Aufbruchs noch ein paar Tage in Bologna blieben, können wir uns sogar auf eine zusätzlich, so nicht geplante Etappe freuen. Mit leckerem Parmigiano und Pignoletto!
Nun waren wir also in Mailand und damit zwar der Heimat näher, aber viel zu weit von der angepeilten letzten Etappe – Bologna – entfernt. Von hier hatte ich nämlich Fahrkarten nach Verona und von da nach München und Köln. Dazu vielleicht eine kurze Erklärung: Ich habe bereits geschrieben, dass ich die ein oder andere Fahrt vielleicht zu früh gebucht habe. In diesem Fall war es so, dass der für die Rückfahrt nach München gewählte Zug – der RegioJet 86 – zum Buchungszeitpunkt nur zwischen Verona und München verkehren sollte. Ein paar Monate später wurde die Verbindung verlängert, und der Startbahnhof war nun Bologna. Da ich aber nur Karten ab Verona hatte, musste nun noch ein Stück Frecciarossa eingeschoben werden. Diese Karten wollte ich nicht verfallen lassen – und Verbindungen von Mailand durch die Alpen Richtung Köln sind ohnehin nicht so mein Ding – also hatte ich jetzt die Wahl zwischen Verona und Bologna, um die Zeit bis zur Abfahrt am 04.10. zu überbrücken. In beiden Städten waren wir vor Kurzem erst gewesen, sodass die Eindrücke recht neu waren. Da Bologna uns aber deutlich besser gefallen hatte – allein schon wegen der tollen Arkaden und des Quadrilatero, um gar nicht erst vom viel besser gelegenen Bahnhof zu reden – fiel die Wahl nicht schwer.
Von Mailand aus hieß es also, die nächste Frecciarossa Richtung Süden besteigen, um in knapp anderthalb Stunden zur nun wirklich letzten Etappe zu gelangen. Bologna war zwar von Anfang an als Zwischenstopp eingeplant gewesen, aber ursprünglich nur für eine Nacht zwischen zwei Zugverbindungen. Jetzt sollten es also zwei Nächte und damit eine „richtige“ Etappe werden. Und da wir erst vor wenigen Monaten schon fünf Tage auf Karnevalsflucht in der Hauptstadt der Emilia-Romagna gewesen waren, hatten wir schon eine gewisse Idee bezüglich des Programms. Auch sollten wir in Bologna zum letzten Mal auf unserer Reise richtig gutes Wetter haben:

Nördlich der Alpen würden dann leider Regen, Sturm und Kälte auf uns warten. Aber so weit war es ja noch nicht. Während der nächsten zwei Tage konnten wir durch Santo Stefano flanieren, durchs Quadrilatero auf der Jagd nach Parmigiano und Balsamico streifen, ein richtig gutes Eis essen und noch zweimal im Treppchen (La Scalinatella auf Italienisch) zu Abend essen, dem Restaurant, welches wir bereits im Februar für uns entdeckt hatten.


Direkt neben diesem Restaurant befindet sich übrigens eines der für Bologna so typischen Gebäude – einer der mittelalterlichen Geschlechtertürme. Weniger bekannt als seine Geschwister, die beiden ikonischen Asinelli und Garisenda mitten im Stadtzentrum, ist der hier abgebildete Torre Azzoguidi (oder Altabella) vielleicht nicht ganz so berühmt, aber mit seinen 61 Metern nicht weniger beeindruckend. Obwohl man ehrlicherweise in den engen Gassen trotz seiner Höhe fast daran vorbeiläuft.
Besichtigen kann man den Turm leider nicht, aber zumindest von außen bewundern. Und wenn man so direkt davorsteht ist das schon ein sehr beeindruckender Anblick. Und nach diesem Ausflug in die Geschichte Bolognas kann man sich mit umso besseren Gewissen in das direkt angrenzende Treppchen begeben, um dort eine Portion Ragú zu bestellen. Natürlich mit Tagliatelle, wie es in Bologna einfach zum guten Ton gehört.
Selbstverständlich haben wir es auch ins Quadrilatero geschafft, wo in engen mittelalterlichen Gassen zahlreiche Leckereien auf hungrige Touristen warten. Darunter auch der 36 Monate gereifte Parmigiano, von dem wir ein großes Stück mitnahmen. Für Gäste, aber auch für uns selbst. Für eine Flasche Pignoletto hat es dann nicht gereicht. Nicht etwa, weil wir nach drei Wochen Italien pleite gewesen wären, sondern weil unsere Koffer auch so schon voll und schwer waren. Als Zugreisender hat man zwar nicht die Beschränkungen wie im Flugzeug, aber da man den Koffer noch irgendwie tragen (und in die Ablage wuchten) muss, hält sich die Bereitschaft zum Erwerb schwerer Mitbringsel sehr in Grenzen.
Das Quadrilatero hatten wir übrigens schon auf unserer Karnevalsflucht Anfang des Jahres kennengelernt, damals auf einer Schlemmertour durch Bologna. Eine denkwürdige Mittagspause, während derer wir uns über die eingekauften und mitgebrachten Spezialitäten – Parmaschinken, Mortadella, Salami, Parmesan – bei einer Flasche Pignoletto hermachen durften. Lediglich den Tortellini in Brühe konnte ich nicht sooo viel abgewinnen.
Nach den zwei Tagen Gnadenfrist hieß es allerdings Abschied nehmen von Italien. Eine erste kurze Fahrt führte uns von Bologna nach Verona, von wo uns dann nach einer kürzeren Wartezeit der RailJet der ÖBB nach München bringen sollte. Die Sonne, die uns fast die ganze Zeit über begleitet hatte, sollte uns noch bis zum Brennerpass die Treue halten, sodass ich während des dort üblichen längeren Haltes – Umstellung der Zugleitsysteme und Aktivierung der zusätzlichen in Italien verbotenen Bremsanlage – noch ein Foto vom RailJet unter südlicher Sonne schießen konnte.

Nachdem wir es über drei Wochen geschafft hatten, dem schlechten Wetter – in Neapel z.B. gab es kurz nach unserer Abreise Überschwemmungen – bis auf ein nachmittägliches Intermezzo in Piazza Armerina auszuweichen, wartete das graulichte Herbstwetter in München leider schon. Während der Zug am Gleis auf das – in einem verspäteten Zug festsitzende – Begleitpersonal warten musste, wurden wir durch Sturmböen regelrecht durchgeschüttelt. Immerhin gelang es dem ICE die anfängliche Verspätung von knapp einer halben Stunde bis Köln so gut wie wieder einzufahren. +7 Minuten waren übrig geblieben. Keine schlechte Leistung!
Alles in allem eine denkwürdige Reise, auf der wir wunderbare Landschaften durchfahren und tolle Städte durchwandern durften. Längere Zugreisen verlaufen eigentlich nie wirklich nach Plan, aber solange man die üblichen Planungstools beherrscht, muss es schon wirklich dick kommen, bevor man irgendwo hängenbleibt. Während Trainline uns dabei geholfen hat, aus fünf Stunden Verspätung nur noch zwei zu machen, war es die App von Trenitalia, die es uns erlaubt hat, von Giarre-Riposto aus doch noch mit dem Zug nach Catania zu kommen, ohne auf ein Taxi ausweichen zu müssen. Ein Fan allzu starrer Planung sollte man als Zugmensch also nicht sein. Aber das kann ja auch durchaus zu spannenden neuen Strecken führen, die man vielleicht vor der Abfahrt gar nicht auf dem Schirm hatte. Für mich gibt es für Reisen innerhalb Europas definitiv keine ernstzunehmende Alternative zur Eisenbahn. Und ich freue mich schon jetzt auf die nächsten Abenteuer. In Sizilien oder anderswo in Italien und Europa.
- Also am 01.10., am Tag, als wir von Palermo aufgebrochen sind. ↩︎
- „Der [US-]Botschafter hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Verwendung von NATO-Mitteln für den Bau nicht zulassen will. Daher wird die italienische Regierung ihren Vorschlag aufgeben müssen, die Kosten für den Bau der Brücke über die Straße von Messina in die NATO-Militärausgaben einzubeziehen.“, Daniele da Pisapaia, Ponte sullo stretto, alla fine ha vinto il NO: vicenda chiusa una volta per tutte. In : Madonie Live, Artikel vom 30.09.2025 ↩︎