Sizilien 2025 – 4. Etappe: Ortigia / Siracusa


Von Catania ging es mit dem Regionale zur nächsten Etappe – nach Siracusa bzw. eigentlich nach Ortigia, der auf einer Halbinsel gelegenen Altstadt, auf der die alten Korinther vor ca. 2.700 Jahren ihre Kolonie gegründet haben. Auch dieses Mal war die eigentliche Zugfahrt unspektakulär. Anderthalb Stunden mit demselben Regionale Veloce wie schon auf der letzten Etappe von Messina (der RV 5391), allerdings war die Fahrt entlang der Küste diesmal deutlich weniger malerisch. Viel Gewerbe, wenig Meer und Strand. Und im Zug haben sie es mit der Klimatisierung deutlich übertrieben. Ich musste meine Jacke aus dem Koffer kramen, so kalt wehte es an den Fenstern entlang.

Die Fontana di Diana oder eigentlich besser „di Artemide“, da wir uns in Siracusa ja in ursprünglich griechischem Siedlungsgebiet befinden. Zu Dianas Füßen die um Schutz flehende Arethusa, hinter der Göttin hervorschauend ihr Verfolger, der Flussgott Alpheios.

Der Bahnhof in SIracusa liegt ca. 20 Minuten zu Fuß von unserer Unterkunft mitten in Ortigia entfernt. Man kann also entweder die Koffer durch die spätsommerliche Hitze rollern oder man entscheidet sich für die Linie 105 des sizilianischen ÖPNV-Betreibers SAIS autolinee, die den Reisenden für schlanke 1,20 € in ca. 10 Minuten ans Ziel bringt. SAIS autolinee betreibt den ÖPNV in zahlreichen sizilianischen Städten (Siracusa ist anscheinend relativ neu dazugekommen, zumindest findet sich noch keine Spur davon in der italienischen Wikipedia), aber auch überregional, z.B. auf der Strecke Piazza Armerina – Palermo, die wir ein paar Tage später nehmen würden. Die von SAIS angebotene App ist übrigens – nach einer kleinen Einarbeitungsphase – sehr gut und erlaubt einfache Ticketbuchung. Neben Einzeltickets gibt es auch Tages- und 3-Tages-Tickets für respektive 3,00 bzw. 7,00 €. Preise, die dem leidgeprüften deutschen ÖPNV-Nutzer Tränen ins Gesicht treiben. Zumindest, wenn dieser nicht das Deutschland-Ticket sein eigen nennt.

Unsere Unterkunft in Ortigia war von der Lage her kaum zu übertreffen: direkt im Zentrum, auf der Piazza Archimede, wenige Meter von der Kathedrale – und auch sonst jeder Sehenswürdigkeit – entfernt. Dazu gab es einen Blick auf die wunderschöne Fontana di Diana, dessen Figurenkomposition die Geschichte der Nymphe Arethusa und des lüsternen Flussgottes Alpheios darstellt. Ein Mythos, der für die Gründung Siracusas und dessen Aufstieg zur Großmacht als Teil der Magna Graeca eine große Bedeutung hat. Der Brunnen selbst ist neueren Datums und wurde 1907 eingeweiht, einer Zeit also, in der in ganz Italien fleißig gebaut wurde. Entworfen wurde der Brunnen übrigens von dem in Deutschland fast unbekannten Giulio Moschetti. Neben dem Dianabrunnen hat Moschetti übrigens auch die Fontana di Proserpina direkt neben dem Bahnhof in Catania entworfen. Ein ganz ähnliches – und zudem eng verwandtes – Motiv (Raub – in diesem Fall erfolgreich – einer Frau durch einen Gott) und eine sehr ähnliche Ausführung haben dazu geführt, dass ich den Brunnen in Catania zunächst für eine Kopie hielt.

Nochmal zurück zur Lage unserer Unterkunft: Trotz der zentralen Position direkt neben dem Brunnen und in direkter Nachbarschaft zu zahlreichen Bars und Restaurants war es deutlich weniger laut als ursprünglich erwartet. Bis gegen 22:00 Uhr gab es die in italienischen Städten im Sommer üblichen Gesangseinlagen, aber danach war – Ruhe.

Das Allererste, was wir uns auf einem Spaziergang rund um die Halbinsel angeschaut haben, war die Arethusa-Quelle (auf italienisch Fonte Aretusa), eine Süßwasserquelle nur wenige Meter vom Meer entfernt. Das Vorhandensein dieser Quelle war einer der Gründe dafür, dass die Expedition aus Korinth die Halbinsel als Ort der Koloniegründung ausgewählt hat. Bei einer solchen herausragenden Bedeutung des Ortes war es der namengebenden Nymphe geradezu vorbestimmt, in der Stadtgeschichte eine besondere Rolle zu spielen. Im Falle der Arethusa ging dies sogar noch weiter, da durch die mythische Verbindung der Neugründung mit dem Mutterland eine Art früher Translatio Imperii konstruiert werden konnte.

Die Quelle der Arethusa – Seit über 2700 Jahren eine Einheit von Natur und Mythologie.

Die Geschichte geht so: Durch die Jagd erhitzt wollte Arethusa sich im Wasser des Flusses Alpheios abkühlen:

dann lüsterner lös‘ ich den Gürtel,
Und mein weiches Gewand der gebogenen Weide vertrauend
Tauch‘ ich mich nackt in die Flut.1

Nackt wie sie war hat ihre Schönheit den bereits weiter oben erwähnten Flussgott Alpheios derartig erregt, dass er ihr durch Wald und Flur nachstellte. Arethusa war jedoch Teil des Gefolges der Artemis / Diana, der jungfräulichen Göttin der Jagd, die bei wild gewordenen Männern schon einmal zu drastischen Maßnahmen griff. In diesem Fall hat sie ihre Nymphe in eine Quelle verwandelt, die dann, nach einer Reise durchs Mittelmeer, auf Ortigia wieder ans Tageslicht entspringen sollte. Ortigia übrigens deswegen, weil es einen Beinamen der Artemis aufnimmt, deren mythische Geburtsstätte als „Wachtelland“ bekannt war – „Ortygia“ auf Griechisch, nach „Ortyx“, der Wachtel.

Allerdings sollte auch Alpheios sich seiner menschlichen Gestalt entledigen, um sich als Flut mit Arethusa zu vereinen:

Da fällt frostiger Schweiß auf meine [i.e. Arethusas] belagerten Glieder,
Und ringsum von dem Leib entrinnen mir bläuliche Tropfen.
Wo ich setze den Fuß, da wallt ein See; aus dem Haupthaar
Triefet mir Tau und schneller, als jetzt ich erzähle das Wunder,
Lös‘ ich in Nässe mich auf. Doch auch die teueren Wellen
Kennt der Strom, und der Mannesgestalt, die er lieh, sich begebend
Wird er zur eigenen Flut, mit mir sich zu mischen gewandelt.2

Eine spannende Geschichte, die bis in die Zeit des Entstehens der Magna Graecia rund um das mächtig gewordene Syrakus zurückreicht. Ganz schön viel mythologische Aufladung für einen so kleinen und lieblichen Ort.

Eine weitere Besonderheit: Die Fonte Aretusa ist einer von nur drei Orten in Europa, an denen Papyrus vorkommt.

Etwas nördlich der Arethusa-Quelle ist das hier übrigens der Blick entlang der Küste aufs Meer bzw. den großen Hafen von Siracusa:

Blick entlang der Westküste Ortigias bis zum Castello Maniace an der Spitze der hier Landzungenartig zulaufenden Halbinsel.

An der Spitze ist so gerade eben das Castello Maniace erkennbar. Erbaut von – Friedrich II. Hier allerdings ausnahmsweise mal nicht als „schwäbisch“ bezeichnet, sondern nach dem byzantinischen General, der bei der Befreiung von den Arabern eine Rolle gespielt hat. Man kann das Kastell besichtigen, wir haben allerdings darauf verzichtet, u.a., weil wir auf einer früheren Reise nach Apulien schon das ein oder andere besichtigt haben. Und irgendwann ähneln sie sich halt alle doch sehr. Und das gesparte Eintrittsgeld haben wir dann an anderer Stelle in eine – wie ich finde – weitaus nachhaltigere Erinnerung investiert:

Sonne im Glas. Mal ganz wörtlich hier auf der Westseite von Ortigia. Unvergesslich.

Eine weitere Sehenswürdigkeit Ortigias hat sich uns leider ein Stück weit entzogen, zumindest optisch:

Die Kathedrale von Ortigia – außen pfui (zumindest zeitweise), innen extrem beeindruckend. Aber ohne gelegentliche Sanierungen wäre die Pracht wahrscheinlich bald dahin – von daher…

Ich fühlte mich stark an Padua erinnert, wo die berühmte Reiterstatue des Gattamelata von Donatello hinter einem ähnlich unansehnlichen (aka abgrundtief hässlichen) Gerüst verborgen war. Vor lauter Frust habe ich dann tatsächlich vergessen, das eigentlich beeindruckende Feature der Kathedrale – ursprünglich als Tempel der Athena erbaut – auf die Platte zu bannen – die Säulen aus dem 5. Jhdt. vor Christus, die heute noch integraler Bestandteil des Gebäudes sind. Bislang habe ich keine andere Stelle gesehen, an der die Kontinuität europäischer Geschichte über zweieinhalb Jahrtausende – von griechischer über römische Antike bis ins christliche Mittelalter – so anschaulich und greifbar wird. Unbedingt mitnehmen!

Neben der Stein gewordenen Geschichte hat Ortigia als Halbinsel natürlich auch noch eine andere Seite, die wir uns auf einer der extrem beliebten Bootstouren angesehen haben. Man umrundet die Halbinsel dabei tatsächlich einmal komplett, da das Boot unter den Brücken, über die Ortigia mit dem Festland verbunden ist, hindurchfährt. Spektakuläre Ausblicke, Grotten und natürlich vor allem und immer wieder – das Meer.

Hier eine lustige Felsformation, die von allen als „Hund“ oder „Wolf“ bezeichnet wurde, die doch aber wohl ganz eindeutig einen Bären darstellt. Oder?

Den Blick starr aufs Meer gerichtet – der Bär (l’Urso) von Ortigia.

Insgesamt waren wir viel zu kurz in Ortigia. So hatten wir z.B. keine Zeit, uns den archäologischen Park Neapolis mit dem berühmten Ohr des Dionysos anzuschauen. Und eine Tour zum Baden hätte auch gut zum mediterranen Bilderbuchwetter gepasst. Da hilft nur eines: Wiederkommen! Aber zunächst sollte es heißen, zurück nach Catania und von dort einmal quer durch die Insel, über Piazza Armerina nach Palermo.

  1. Ovid Metamorphosen, 4. Buch, V. 593 – 595 ↩︎
  2. Ovid Metamorphosen, 4. Buch, V. 632 – 638 ↩︎